INTERVIEW

IM INTERVIEW: TIBOR RODE ÜBER "DAS MONA-LISA-VIRUS" | 01.04.2016


Die Handlung ist sehr vielschichtig angelegt: In Amerika verschwindet ein Bus mit Kandidatinnen der Miss America Wahl, die kurze Zeit später grausam entstellt wiederauftauchen. Gleichzeitig kommt es weltweit zu einem Massenbienensterben und ein neuartiges Computervirus befällt und verändert Fotodateien. Wie hängt das zusammen?
Zwischen all diesen Ereignissen gibt es ein verbindendes Element. Verraten sei so viel: In dem Thriller dreht sich alles um zwei zentrale Themen, nämlich um „Schönheit“ und um den „Goldenen Schnitt“.
Welche Bedeutung wird dem „Goldenen Schnitt“ beigemessen?
Der „Goldene Schnitt“ ist aus meiner Sicht eines der großen Mysterien unseres Universums. Er wird nicht ganz zu Unrecht auch als „Bauplan Gottes“ oder die „Göttliche Proportion“ bezeichnet. Beim „Goldenen Schnitt“ handelt es sich um ein bestimmtes Teilungsverhältnis, das in verschiedensten Bereichen, wie Architektur, Kunst, Fotografie und Mathematik Anwendung findet. Teilt man etwas so, dass der eine Teil genau 61,8 Prozent des Ganzen ausmacht, dann teilt man es im Verhältnis des „Goldenen Schnitts“. Und dann empfindet der Betrachter das Gesamtwerk als ästhetisch. So enden beispielsweise in der Akropolis die Säulen am Tempel „Parthenon“ genau am „Goldenen Schnitt“.
Diese exakte Proportion kommt aber eben nicht nur in von Menschenhand geschaffenen Werken vor, sondern vor allem auch in der Natur und das ist das eigentlich Mysteriöse. Pflanzen, Tiere, sogar der Mensch – alles scheint nach den Regeln des „Goldenen Schnitts“ erschaffen zu sein. Da fragt man sich natürlich, wer bei der Schaffung der Natur das Maßband angelegt hat – und warum.
Was glauben Sie, wie die Welt aussehen würde, wenn die Menschen nicht nach Schönheit streben? Wäre unsere Welt dann menschlicher?
Die Frage unterstellt, dass das Streben nach Schönheit zu Unmenschlichkeit führt. Ich glaube vielmehr, das Streben nach Schönheit, überhaupt das Streben an sich, liegt gerade in der Natur des Menschen. Das Streben nach Fortschritt hat uns in der Evolution dorthin gebracht, wo wir als Menschheit heute stehen. Leider ist das Streben, die damit verbundene Gier, aber immer auch mit einer dunklen Seite verbunden. Beim Streben nach Schönheit ist diese Kehrseite ganz klar die Selektion. Die Einteilung von Menschen in schön und hässlich und die damit verbundene Ausgrenzung und Abwertung.
Das Wetteifern nach einem von der Gesellschaft aufgestellten Schönheitsideal hat zahlreiche Nebenwirkungen: Wie viel Zeit wenden wir für das Streben nach Schönheit auf? Wie viel Geld geben wir als Gesellschaft dafür aus?
Ich will das nicht bewerten oder kritisieren. Ich beschreibe nur, was ich beobachtet habe, führe es dem Leser auf unterhaltsame Art und Weise vor Augen. Mag jeder Leser daraus die Schlüsse ziehen, die zu seinem Leben passen.
Bilder regieren die Welt und Nachrichten ohne Bilder sind im heutigen digitalen Zeitalter kaum mehr vorstellbar. Was meinen Sie, ist eine Welt ohne digitale Bilder überhaupt möglich und wünschenswert?
Man spricht nicht umsonst von der Macht der Bilder, und diese Macht wächst und wächst. Ich würde sagen, Bilder waren noch nie so mächtig wie heute. Es gibt auch dank Smartphone-Kamera und sozialen Medien wie Instagram & Co. immer mehr öffentliche Fotos und Bilder. Ich habe sogar das Gefühl, das Bild verdrängt langsam immer stärker das gesprochene oder geschriebene Wort.
Aber Bilder sind auch gefährlich. Denn sie zeigen nicht immer die Wirklichkeit, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint. Und sie können manipuliert werden, um wiederum den Betrachter zu manipulieren. Zudem sind Bilder viel schwieriger zu beherrschen und viel verräterischer, als beispielsweise ein Text.
Mein Buch nimmt diese Macht der Bilder auf. Und spielt mit dem Gedanken, was wäre, wenn es keine Bilder mehr auf der Welt geben würde. Wie dramatisch, aber auch merkwürdig dies wäre, bewies im vergangenen Herbst übrigens zufälligerweise eine Aktion der „Bild“-Zeitung, die einen halben Tag ohne Bilder und Fotos erschien. Es war schon ein beklemmendes Gefühl, die Zeitung durchzublättern und anstelle der bunten Bebilderung überall nur weiße Flecken zu sehen.
In Ihrem Thriller taucht ein neuartiges Computervirus, das Mona-Lisa-Virus, auf, welches sämtliche Bilddateien infiziert und die Bilder entstellt. Wie kann man sich dieses Virus vorstellen?
Und wie nah sind Sie hierbei an der Realität dran?
Auch hier soll nicht zu viel verraten werden, aber das Computervirus im Buch greift unter anderem die Proportion des „Goldenen Schnitts“ in Fotos und Bildern an. Es zerstört Bilder nicht, sondern entstellt sie, wie ein außer Kontrolle geratenes Photoshop-Programm. Ich denke, diese Vision ist sehr nahe an der Wirklichkeit. Technisch wäre dies mit Sicherheit möglich.
Als wohl berühmtestes Bild personifizierter Schönheit gilt Leonardo da Vincis „Mona Lisa“. Wie erklären Sie sich die Faszination, die seit Jahrhunderten von diesem Gemälde ausgeht?
Die Faszination der „Mona Lisa“ ist eigentlich nicht erklärbar. Auf den ersten Blick handelt es sich um ein eher unspektakuläres Porträt einer unbekannten jungen Frau. Doch dieses Gemälde ist voller Geheimnisse und das merkt man bereits bei der Betrachtung. Das mysteriöse Lächeln, die Augen, die einen stets zu verfolgen scheinen. Das Gemälde besticht mit unglaublicher Lebendigkeit. Und dann spielt auch noch der Maler eine große Rolle: Leonardo da Vinci eines der größten Universalgenies der Geschichte. Seiner Zeit weit voraus. Ihm traut man zu, bei der Erschaffung des Gemäldes Magie angewandt zu haben, weit mehr hineingelegt zu haben, als wir heute begreifen können.
Vielleicht liegt die Faszination aber auch einfach daran, dass auch die „Mona Lisa“ nach den Regeln des „Goldenen Schnitts“ gemalt ist. Leonardo da Vinci war einer der ersten Künstler, der diese „Göttliche Proportion“, wie er sie nannte, in der Kunst angewandt hat.
Albert Einstein soll einmal gesagt haben, wenn die Biene von der Erde verschwindet, lebt die Menschheit noch vier Jahre. Dies hätte fatale Auswirkungen für die globale Wirtschaft. Was meinen Sie, wie realistisch ist diese Aussage? Sind wir uns dieser Gefahr bewusst?
Ich glaube nicht, dass diese Bedeutung der Bienen allen bewusst ist. Tatsächlich würde die Menschheit ein Aussterben der Bienen wohl überleben. Aber es würden einige Lebensmittel, für die die Bestäubung der Blüten unersetzlich ist, für immer aus den Regalen verschwinden. Es gab und gibt Versuche, die Bestäubung durch Menschen zu ersetzen, aber bislang ist kein Mensch und auch keine Maschine so effizient wie eine kleine Biene.
Für Das Mona-Lisa-Virus wurden bereits in sechs Länder, darunter auch Japan, Korea und Russland/Ukraine, Auslandslizenzen verkauft. Was ist das für ein Gefühl, zu wissen, dass Ihr Buch auch in diesen Ländern gelesen wird?
Das ist ein großartiges Gefühl. Wenn man bedenkt, dass bald Leser, die in ganz unterschiedlichen Kulturen leben, die Geschichte von Helen verfolgen werden, ist das sehr aufregend. Dabei erscheint der Thriller nicht nur in ganz unterschiedlichen Sprachen, sondern mit japanisch, koreanisch, russisch und griechisch kurioserweise auch in ganz verschiedenen Schriften. Das ist besonders spannend und ich kann es kaum erwarten, die jeweiligen Landesausgaben in den Händen zu halten.
Dies ist Ihr dritter Roman. Wie hat sich Ihr Schreiben in den letzten Jahren verändert?
Mein Schreiben selbst hat sich nicht verändert, denke ich. Was sich aber verändert hat, ist das Genre, in dem meine Geschichten sich bewegen. Meine ersten beiden Romane hatten jeweils noch einen gewichtigen historischen Teil, d.h. sie spielten ziemlich genau zur Hälfte im 18. bzw. im 17. Jahrhundert und in der Jetzt-Zeit, wobei stets zwischen beiden Zeitebenen hin- und hergewechselt wurde und ich die Handlung der Vergangenheit mit der heutigen Handlung verwebt habe.
Mit dem „Mona-Lisa-Virus“ lasse ich das Genre des historischen Romans nun hinter mir und es ist mein erster Thriller, dessen Handlung fast ausschließlich in der Jetzt-Zeit angelegt ist.
Sie sind hauptberuflich als Anwalt tätig. Welche Bedeutung hat das Schreiben in Ihrem Leben?
Diese Frage wird Autoren häufig gestellt und daher habe ich auf diese Frage schon viele verschiedene Antworten gelesen. Manche Kollegen sagen, Schreiben sei wie Atmen. Was eine schöne Metapher ist und eine Lebensnotwendigkeit unterstellt. Der Autor, der um sein Leben schreibt, das klingt doch angemessen dramatisch für einen Krimi- oder Thrillerautor. Tatsächlich sehe ich es aber weniger dramatisch: Schreiben bereitet mir vor allem Freude. Das soll nicht heißen, dass Bücherschreiben nicht auch Ausdauer und Disziplin erfordert. Meine Theorie ist: Wenn ich Spaß beim Schreiben habe, dann hat der Leser auch Spaß beim Lesen.